Aus der Praxis
Von der Belieferung des grössten Infrastrukturprojektes in Europa über eine einmalige Lösung zur Behandlung von Schlaganfallpatienten bis zur Herstellung von hochpräzisen Datenerfassungskarten – drei illustrative Beispiele erzählen von Projekten, welche die SERV 2020 begleitete.
Ein Türöffner für Gilgen Door Systems
Die Société du Grand Paris verlangt von ihrem Schweizer Lieferanten, Gilgen Door Systems AG, eine Bondgarantie im sechsstelligen Bereich bei einer Laufzeit von über fünf Jahren. Wie kann der Schweizer Exporteur diesen Auftrag abwickeln und dennoch seine Liquidität für andere Projekte freihalten?

In Paris entsteht gerade das grösste Infrastrukturprojekt Europas: Es handelt sich um den «Grand Paris Express», betrieben durch die eigens dafür gegründete Société du Grand Paris. Dabei soll das bestehende Pariser U-Bahnnetz um 200 Kilometer vergrössert und durch vier zusätzliche Linien erweitert werden. Bis 2030 werden so an 68 Bahnhöfen jeden Tag rund 2 Millionen Passagiere transportiert.
Ein verlässlicher Partner
Die Gilgen Door Systems AG (Gilgen) mit Hauptsitz im bernischen Schwarzenburg hat den Zuschlag zur Mitwirkung an diesem gigantischen Prestigeprojekt erhalten. Für den Abschnitt «Linie 15 Süd» stattet Gilgen 16 Haltestellen mit vollautomatischen Bahnsteigtüren aus. Der Auftragswert beläuft sich auf 42 Millionen Euro.
Das mittelständische Unternehmen verfügt über 60 Jahre Erfahrung in der Antriebs- und Steuerungstechnik für automatische Tür- und Torsysteme. Bei Ausschreibungen punktet Gilgen mit seiner Reputation als verlässlicher und beständiger Partner, der durch qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen überzeugt. Dies hat Gilgen schliesslich zum Zuschlag verholfen. Entscheidend sei die beste Bewertung in Technik und Preis gewesen, sagt Robert Hug, stellvertretender Leiter des Bereichs ADP (Automatic Doors for Public Transport).
«Wir verfügen zwar über genügend Liquidität. Ein grosser Teil davon ist so jedoch über die ganze Laufzeit blockiert und fehlt dann für andere Aufträge.»
Robert Hug
STELLVERTRETENDER LEITER DES BEREICHS ADP, Gilgen Door Systems AG
Der Käufer diktiert
So erfreulich der Zuschlag ist, so gross sind die Herausforderungen, die dieser Auftrag mit sich bringt: Gilgen muss sich bei einem knapp bemessenen Zeitplan an zahlreiche hoch normierte Anforderungen halten, denn: «Wenn man bei so einem Projekt ein System hat, das nicht funktioniert, ist das eine Katastrophe. Es genügt ein minimaler Defekt und die ganze U-Bahn steht still», weiss Robert Hug aus langjähriger Erfahrung. Der französische Käufer verlangte deshalb eine Erfüllungsgarantie in Höhe von EUR 2,1 Mio. mit einer Laufzeit von 65 Monaten. Bezahlt wird Gilgen in Tranchen gemäss Fortschrittstand. Die letzte Zahlung erfolgt somit ebenfalls in 65 Monaten. Die Verhandlungsmarge bei so einem internationalen Ausschreibungsverfahren liegt bei null. Gilgen verfügt zwar über genügend Liquidität. «Ein grosser Teil davon ist so jedoch über die ganze Laufzeit blockiert und fehlt dann für andere Aufträge», erklärt Herr Hug.
Um einen Liquiditätsengpass zu vermeiden, hat Gilgen bei der SERV eine Bondgarantie kombiniert mit einer Vertragsgarantieversicherung beantragt. Indem die SERV das Zahlungsrisiko des Exporteurs gegenüber der finanzierenden Bank übernimmt, bleiben seine Kreditlimiten unangetastet. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die bestehende Garantielimite für seine anderen noch laufenden Aufträge vollständig zur Verfügung steht und Gilgen über mehr Flexibilität bei der Vorfinanzierung seiner Geschäfte verfügt. Dank der Unterstützung der SERV stehen Gilgen somit die Türen offen, um auch das nächste Grossprojekt in Angriff zu nehmen.
Exportrisikoversicherung – eine Chance für Wachstum
Das Neurotechnologieunternehmen MindMaze hat eine einzigartige Lösung für die Genesung von Schlaganfallpatienten entwickelt. Die Nachfrage in diesem Markt ist gross. Wenn Käufer oder Verkäufer nicht über ausreichend Liquidität verfügen, stellen Geschäftstransaktionen allerdings eine grosse Herausforderung dar. Eine Versicherung der SERV ermöglicht MindMaze, wettbewerbsfähige Zahlungsbedingungen anzubieten und dadurch mehr Absatz zu generieren.

Dass das Gehirn bei einem Schlaganfall Schaden nimmt, ist bekannt. Aber das ist nicht alles. Weniger bekannt ist, dass das Gehirn nach einem Schlaganfall lernfähiger ist. Diese sogenannte Hyperplastizität des Gehirns ist für den Genesungsprozess von Schlaganfallpatienten sehr förderlich. Im Laufe der Zeit nimmt die Plastizität wieder ab, sodass für die Rehabilitation nur ein beschränktes Zeitfenster besteht.
Mehr als nur ein Spiel
Und hier kommt MindMaze ins Spiel. Das 2012 gegründete und in Lausanne ansässige Unternehmen ist führend in der Rehabilitation nach Hirnverletzungen und auf Schlaganfallpatienten spezialisiert. «Es gibt zwar zahlreiche Lösungen, um Hirnschäden zu heilen. Doch MindMaze ist das einzige Unternehmen, das gleichzeitig eine Zielbeurteilung vornimmt, einen individuellen Ansatz zur kognitiven und motorischen Rehabilitation verfolgt und über die gesamte Behandlungsdauer aktiv ist, um das Genesungspotenzial zu maximieren», so Jean-Marc Wismer, Chief Operating Officer von MindMaze.
Auf Grundlage modernster neurowissenschaftlicher Erkenntnisse hat MindMaze mit MindMotion eine Behandlung entwickelt, die den Grundsätzen der Game-based Therapy folgt. Mit dem individuell auf die Fortschritte und Bedürfnisse der Patienten anpassbaren Ansatz sollen Bewegungsabläufe trainiert werden, wie sie Patienten normalerweise in der Physiotherapie üben. Dank der Telemedizinfunktion kann MindMotion sowohl in der Klinik als auch zu Hause angewandt werden. Letzteres gibt den Patienten die Möglichkeit, mehr und engagierter zu trainieren, während gleichzeitig weniger therapeutische Interventionen nötig sind, was die Behandlungskosten senkt. Jean-Marc Wismer dazu: «Insbesondere in Zeiten von Covid-19 bietet diese Möglichkeit viele Vorteile.»
«Ohne die Unterstützung der SERV hätten wir einen Vertrag dieser Grösse – insbesondere in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten – nicht unterzeichnen können.»
Jean-Marc Wismer
Chief Operating Officer, Mindmaze
Wachstum ermöglichen
Nach umfangreicher Forschung, Erlangung der CE-Kennzeichnung, Zulassung durch die FDA und Vorvermarktung ab 2016 konnte MindMotion 2020 schliesslich auf den Markt gebracht werden. Von den Vorteilen des Produkts überzeugt, erwarb ein Vertriebspartner in Indien Tausende von Lizenzen. Damit der Käufer diese Zahl an Lizenzen erwerben konnte, bot ihm MindMaze eine individuelle Zahlungsvereinbarung mit langer Kreditlaufzeit an. Als junges Unternehmen hat MindMaze jedoch nur begrenzt Zugriff auf Rahmenkredite oder Liquiditätsreserven, um solche Zahlungsbedingungen zu gewähren und dadurch Umsatzwachstum zu generieren. Deshalb bat MindMaze die SERV um Unterstützung, wodurch das Problem effizient gelöst werden konnte.
Möglich wurde dies durch die Lieferantenkreditversicherung der SERV. Dabei werden die Forderung und die SERV-Deckung an eine Bank zediert, die dann mit MindMaze zusammenarbeitet. Im Gegenzug für die späteren Zahlungseingänge des Kunden sichert die Bank MindMaze eine Vorfinanzierung zu und ermöglicht aufstrebenden Unternehmen so bessere Absatzmöglichkeiten. «Ohne die Unterstützung der SERV hätten wir einen Vertrag dieser Grösse – insbesondere in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten – nicht unterzeichnen können», so Jean-Marc Wismer.
Finanzierung dank Fabrikationskreditversicherung
Ein Westschweizer KMU erhält mehrere Exportaufträge in Millionenhöhe. Die Finanzierung der Produktion stellt das Unternehmen jedoch vor grosse Herausforderungen. Eine Versicherung der SERV verschafft Abhilfe.

Im Uhrenquartier des Genfer Vorortes Plan-les-Ouates ist das kleine Unternehmen Acqiris zu Hause. Noch viel präziser als die Uhren, die hier hergestellt werden, sind die Datenerfassungskarten von Acqiris: Diese wandeln analoge Signale auf die Milliardstel-Sekunde genau in digitale Daten um. Die Datenerfassungskarten finden in zahlreichen Bereichen Anwendung. Als Komponenten von Messinstrumenten helfen sie digitale Bilder im Submillimeter-Bereich zu erstellen; sei es zum Beispiel in der Behandlung von Herzkrankheiten oder zur Erforschung des Coronavirus.
Die Krux bei der Kreditvergabe
Chinesische Entwickler von High-Tech-Produkten im Medizinbereich verwenden ebenfalls Acqiris’ Karten und haben das KMU mit Bestellungen mit einem Gesamtbetrag in Millionenhöhe beauftragt. Dabei haben die Vertragspartner eine Lieferung pro Quartal über mehrere Jahre vereinbart. Der Käufer bezahlt jeweils bei der Lieferung; eine Anzahlung gibt es nicht. Das bedeutet, dass Acqiris seine Produktionskosten vorfinanzieren muss. Doch genau hier liegt die Krux.
Bei der Kreditvergabe halten sich die Banken an starre Kriterien. Aufgrund ihrer unkonventionellen Firmengeschichte erfüllt Acqiris diese Kriterien aber nicht: Das Westschweizer KMU mit 22 Mitarbeitenden in der Schweiz wurde zwar bereits 1998 gegründet. Später wurde es von einem multinationalen Unternehmen aufgekauft und nach einer Restrukturierung 2017 erneut in die Selbstständigkeit entlassen, weshalb es offiziell als Jungunternehmen gilt. «Da wir aufgrund unserer neuen Firmenform nicht über das geforderte Unternehmensalter und die nötigen Bilanzen verfügen, erhalten wir keinen klassischen Bankkredit», erklärt Didier Lavanchy, Mitgründer von Acqiris.
Problem gelöst
Die SERV konnte dieses Problem lösen: Mit einer Fabrikationskreditversicherung übernimmt die SERV das Ausfallrisiko von Acqiris gegenüber der Bank. Im Gegenzug stellt die Bank einen Kredit aus, womit Acqiris seine Produktion vorfinanzieren kann und nicht auf eine Anzahlung angewiesen ist. Eine Fabrikationsrisikoversicherung schützt Acqiris zudem vor Verlusten, falls es seine Produktion unverschuldet einstellen muss. «Nebst der Übernahme des Ausfallrisikos hat uns die SERV mit ihrem wertvollen Know-how in der Absicherung von Exportrisiken unterstützt, worüber wir sehr froh sind», merkt Didier Lavanchy an.
«Nebst der Übernahme des Ausfallrisikos hat uns die SERV mit ihrem wertvollen Know-how in der Absicherung von Exportrisiken unterstützt, worüber wir sehr froh sind.»
Didier Lavanchy
Mitgründer, Acqiris